Liebes Archiv … Einträge vom November 2006

Sonne, Mond und Schterne.

       

[] Parand / Mittwoch, 29. November 2006

Dem Eisenschwein die Sporen.

Spätestens seit sechzehnhundertfünf weiß man, daß der Kampf gegen Windmühlen an der geistigen und körperlichen Substanz zehrt. Und ich hatte doch bisher allein Parand, das arme Parand!, für unser Leiden verantwortlich gemacht. Habe ich ihm unrecht getan? Die einen sagen so, die anderen so. Denn erst bei gesamtheitlicher Herangehensweise, bei Betrachtung aller unser Wohlergehen beeinflussenden Faktoren wird klar, der scheinbar endlos währende Kampf an der Werkbank und die Sinnsuche an demselben hat einen ebenso kräftigen Anteil an unserem Befinden. Schließlich schwebt auch nach dem Feierabend das Schwert des Damokles tagaus, tagein über unseren Häuptern. Der Thron, nach dem wir streben, ist aus Meilensteinen errichtet, und erst wenn er vollendet ist haben wir unsere Arbeit gethan und können gehen.
Ein Meilenstein wiegt schwer, und wenn er, wie gerade geschehen, ganz leise von der Seele rutscht, und es sich anfühlt, als sei er nie dagewesen, stellt sich eine erleichterte Müdigkeit und die Sehnsucht nach Ruhe, Ende, Freiheit ein. Mir war sogar so müde zumut, daß der zur Feier des Tages gereichte Tropfen nicht nach mehr schmeckte und ich mich alsbald dem einfachen Siechtum auf meinem Sofa hingab, wo ich wohl irgendwann entschlummerte.

[] Parand / Dienstach, 28. November 2006

Schlechte Aussichten.

    
Ich kann die Jungs nicht an jedem Freitag um sieben aus dem Bett kriegen, nunja, einmal in der Woche sollte man sie ausschlafen lassen. Leider kostet es uns ja immer mindestens eine Stunde bis nach Teheran, so kamen wir um elf am Tochal an. Dem geneigten Leser wird dieser Name noch vom August her bekannt vorkommen, wo wir diese Anhöhe bereits bestiegen hatten. Diesmal war uns nicht soviel Glück beschieden, denn bei Ankunft war die Passage nach oben bereits gesperrt. Der Parkplatz war dennoch brechend voll und ständig kamen Menschen mit schneebedeckten Ski und Schneebrettern vom Berg - die kannten sich wohl hier aus. Bei ein paar herzhaft gefüllten Crepes überlegten wir, wie wir zu unserem allfreitäglichen Erlebnis kämen, uns fiel nicht Besseres ein, als wenigstens - wie viele andere Verrückte oder Masochisten - bis zur zweiten Seilbahnstation zu kraxeln. Die Aussicht war mies, diesig, bis über die Wolken kamen wir nicht, doch den Ungeübten unter uns ging ordentlich die Pumpe. Oben kippten wir uns ein paar Tee rein, und weil unsere ganze Tagesplanung durcheinander war, entschieden wir uns, noch ein paar Einkäufe zu machen, schließlich sind wir noch immer nicht vollständig winterfest. Doch irgendwie wollte an diesem Tag nichts richtig gelingen, denn alles war geschlossen und die Pionierblase drückte höllisch. Mo schubste uns in eine Moschee, wo wir endlich eine Blasenkorrektur machen konnten, von da an war alles gut. Wir machten unsere üblichen Einkäufe (Schweinsbockwürste, Sauerkraut und Schweizer Schokolade zum Beispiel) und fanden uns dann im japanischen Restaurant Seryna ein, wo wir uns am Teppan Yaki von einem Nichtjapaner Fisch, Fleisch und Hummer zerkleinern und braten ließen. Hab schon besser japanisch gegessen, aber nicht in Teheran. Unsere einheimischen Begleiter waren zwiespältig ob der neuen Erfahrung.

[] Tochal / Freitach, 24. November 2006

Ich mach die Bude winterfest.

Möchte nicht behaupten, ihn gerochen oder sonstwie von seiner Ankunft informiert gewesen zu sein, aber gestern, nach einem kräftigen Regen dichtete ich im Apartment notdürftig die Fenster ab. Es handelt sich hierbei um doppelte Thermoverglasung, die lose in Metallrahmen eingesetzt wurde, es sind nur vier schlecht sitzende Schrauben zu lösen, schon fällt mir die Scheibe entgegen. Ich klebe das erbeutete Dichtband an den Rahmen und setze das Fenster wieder ein. Ich glaube, es zieht schon weniger durch die Ritzen.
Als ich später noch einmal ans Fenster trete, fallen die Tropfen so verdächtig langsam, Parand wird weiß. Der Fernsehempfang wird schlecht und verschwindet, einmal kann ich den Schnee noch von der Schüssel wischen, doch dann ist mir das Promi-Dinner eh zu langweilig und ich gehe ins Bett.

[] Parand / Montach, 20. November 2006

Rote Bete im Schnee.

    
War es gut oder schlecht, daß noch nicht viel Schnee lag? Gut einerseits, weil sich mit Sommerreifen und Halbschuhen nicht so gut tiefverschneite Berge erklimmen lassen, nicht so gut, weil für meinen Geschmack einfach noch zuviel Erde sichtbar war.
Nach exzessiver Begrüßung eines neuen Kollegen am Vorabend mit einem Laib Leberkäse, der mit reichlich Hopfensaft runtergespült werden mußte, war meine körperliche Verfassung regelrecht suboptimal, doch am Ende des geräumten Teils der Bergstraße angelangt, zog es auch mich zu dem großen Blechtopf mit den lustig brodelnden Roten Beten, die leicht süßlich, sonst aber ziemlich geschmacksarm gereicht wurden.
Danach wollte ich den Damavand sehen, denn es war herrlich blauer Himmel, nur irgendwelche Berge versperrten die Sicht. Da die Reisegruppe dem Reiseleiter willig - wenn auch an manchen Stellen sinnsuchend - folgte, erklommen wir alle (außer Herrn Ali, der in seinen ausgelatschten Tanzschuhen angereist war) den nächstgelegenen Berg, um den iranischen Giganten zu erspähen. Die Aussicht war grandiohos, doch der Damavand hatte sich weggeduckt und war nicht zu sehen. Wir schossen voneinander die obligatorischen Gipfelheldenbilder. Durch den Tiefschnee sprangen wir dann wie die jungen Rehlein hinunter zum Parkplatz, wo Herr Ali uns inzwischen eine Mutter und ihre junge Tochter angewärmt hatte. Wir klaubten mühsam den Schnee aus den Schuhen und übten uns, mit einem Tee aus dem Kofferraum in der Hand, in Konversation. Das klappte so gut, daß wir uns dann gemeinsam zum Essen in ein Restaurant an der Serpentinenstraße aufmachten. Wieder einmal wurden wir gut und reichlich bewirtet.
Es folgte eine der bekannt-chaotischen Einkaufstouren in Teheran, wie sie sich abspielt, wenn unsere wohlmeinenden einheimischen Begleiter für uns zu denken versuchen. Und jetzt sitzen wir wieder in unserem geliebten Parand, während irgendwo in Teheran vielleicht Heiratsfantasien mit einer guten deutschen Partie gesponnen werden.

[] Shemshak / Freitach, 17. November 2006

Parand City Blues V.

   

[] Parand / Mittwoch, 15. November 2006

Hinter Gittern.

erade hat der Wärter mich wieder in die Zelle gebracht, abgeschlossen habe ich selbst. Ein kurzer Hofgang zum Luftschnappen war noch erlaubt, doch dann zurück in den Luxusknast, ausgestattet mit allen Annehmlichkeiten und doch ein Knast. Einmal wöchentlich Freigang mit Elektronikfessel, Rückkehr garantiert.
Entlassung wegen guter Führung ist nicht drin, im Gegenteil, gute Führung verdammt zum Absitzen der gesamten Strafe, doch erstmal deutet nichts (?) auf ein Lebenslänglich hin.
Die Wärter sind an manchen Tagen so nett, daß man fast vergißt, wo man ist. Aber ganz schnell kommt es einem wieder zu Bewußtsein. Das Empfangen von Besuch ist an diesem gottverlassenen Ende der Welt eine Außergewöhnlichkeit und mit vielen bürokratischen Hürden verbunden, auch wenn offiziell keine Isolationshaft angeordnet wurde. Kleine seelenstärkende Extras sind verdammt teuer und man muß die richtigen Beziehungen haben, die Regeln werden aber glücklicherweise nicht ganz so streng ausgelegt und Bestrafungen für den Besitz sanktionierter Waren sind allgemein selten.
Belastend ist die Eintönigkeit und das Wissen um die manchmal für das Auge unsichtbaren Gitterstäbe, so mancher zerbricht daran. Doch niemand gibt sich hier - so ganz unter Männern - freiwillig die Blöße, zu schwach zu sein für die Suppe, die er sich schließlich selbst eingebrockt hat. Man spielt den harten Mann und versucht, im Interesse der eigenen geistigen Gesunderhaltung, das Abgleiten anderer in Mut- und Hoffnungslosigkeit zu ignorieren. Jeder stirbt für sich allein. Der Eindruck der Sinnlosigkeit, der sich so oft anschleicht, prallt idealerweise an der dicken Haut ab, die man sich nach all den Jahren unter derart erschwerten Bedingungen wachsen lassen hat. Manch einer ist innerlich so verhärtet, daß er für eine Resozialisierung schlichtweg untauglich geworden ist.
Und doch erhalten einzelne Knastbrüder aus neubulösen Gründen Hafturlaub, andere werden ganz entlassen, obwohl die volle Strafe noch nicht abgesessen ist, der Neid der Übrigen ist vorprogrammiert. Aus oben erwähntem Grund - und das trägt zur kurzzeitigen Aufheiterung der verbliebenen Insassen bei - vertragen einige die Freiheit nicht und werden zurückgebracht. Um den Unmut der Verbliebenen zu dämpfen, schmuggeln sie dann begehrte Waren ein und der Ärger der anderen wird betäubt und verblaßt wie die Erinnerung an den kurzen Ausflug in die Welt da draußen.
Überhaupt geht einem bei der Eintönigkeit von Schlafen, Essen, Arbeiten, Essen, Schlafen völlig das Zeitgefühl verloren, egal wie lange man schon sitzt, es kommt einem viel länger vor. Der wöchentliche Freigang tut da auch nichts zur Erhaltung des Gefühls für Freiheit und Selbstbestimmtheit, es ist manchmal sogar so erschöpfend, daß man sich nach dem Ausflug zurück in seine Zelle sehnt.
Wohin soll das führen? Gibt es einen Ausweg aus dem Teufelskreis? Bei derartig zweifelhaftem Lebenswandel sind Aufenthalte dieser Art nämlich kaum zu vermeiden.

[] Parand / Mittwoch, 15. November 2006

Erwischt, Damavand!

    
Heute ist Einkaufstag, keine Besichtigung, keine Bergbezwingung, nur Einkaufen in Teheran. Einmal in vielen Wochen ausschlafen. Am Morgen ist die Sicht nach Norden noch relativ unverdorben, der ganze Elbrus liegt vor mir, als ich bei einen kurzen Morgenspaziergang auf dem Berg stehe. Sogar der Damavand zeigt sich, wenn auch nicht unverschleiert. Als wir uns um zehn auf den Weg in die Hauptstadt machen, steht er immer vor uns, doch je näher wir dem Moloch Teheran kommen, desto dichter wird der graue Industrienebel. Dann biegen wir auf eine andere Autobahn ab und plötzlich ist er ganz klein und blaß geworden, so verlagere ich das Interesse auf den weißen Bergrücken, der jetzt vor uns liegt. Mit seiner noch zarten Schneedecke erinnert er uns an unser Vorhaben, uns mit kälteabweisenden Textilien zu versehen, schließlich ist bald Ski-Saison! Echt oder nicht - die Preise sind irgendwie erschwinglich für uns - ist das die Antwort? Wird nicht heutzutage sowieso fast nur noch in Schwellenländern genäht? Vielleicht ist das die zweite Wahl, die man im Westen nicht verkaufen kann?! Die Auswahl jedenfalls ist groß, auch wenn die Sachen uns meist zu klein sind.
Nach dem guten Mittagessen im Rafabess - Lammfilet-Kebab! - noch in den Intershop für die üblichen Überlebensmittel und in den Großsupermarkt für den Rest (Mehrkornbrot und Gouda erstmals entdeckt!). Und Schuhe danach, dafür in die Ferdosi, ein Schuhladen neben demselben, Schuhe über Schuhe konkurrenzlos preisgünstig, trotzdem ist es nicht leicht, die gewünschten in der eigenen Größe zu bekommen.
Und endlich habe ich ein Paar, übergangsweise, alle sind erleichtert, den Rückweg in unser Kaff antreten zu können. Verdammt!

[] Teheran / Freitach, 10. November 2006

Achtzig Prozent Schwein gehabt.

Hilflose Hysterie wie unter Schulmädchen im Angesicht des Klassenschwarms macht sich breit, als wir uns alle in den kleinen Laden gezwängt haben und die Blicke über die Regale streifen lassen, welche bis unter die Decke reichen. Das überforderte Hirn will ums Verrecken keine Verbindung herstellen zwischen Gesehenem und Erlebtem. Bockwurst. Wiener. Deutsche Worte. Wir nehmen das Glas vorsichtig aus dem Regal. Wir drehen es und lesen vorsichtig die Inhaltsangabe. Achtzig Prozent Schweinefleisch. Wir sehen uns an und müssen uns beherrschen, um nicht loszukreischen - droht Gefahr? Wird der Laden vom Geheimdienst aus einem Fenster auf der anderen Straßenseite überwacht? Ruhig bleiben! Nix anmerken lassen! Der Verkäufer ist ganz unbeeindruckt von unseren gehetzten Blicken und den glänzenden Augen. Wir stellen zwei Gläser auf die Theke, nichts passiert. Es gibt noch einen Stapel Blechbüchsen mit dänischen Butterkeksen, Knoppers, Merci (wer hat seine Omma mit??) und andere exotische Sachen, die wir hier noch nie gesehen haben.
Wir lassen uns die Visitenkarte des Ladens geben und tragen unsere Beute schnell davon. Bleibt noch die Frage, was an deutschen Wiener Würstchen ohne Haltbarkeitsdatum so aufregend ist.

[] Teheran / Freitach, 10. November 2006

Damavand zeigt sich wieder nicht.

    
Da, hinter den weißen Wolken versteckt er sich, so sagt man, denn ich habe ihn bisher nur vage von ferne, aus Parand gesehen, nun nähern wir uns zum zweiten Mal und wieder hüllt er sich in eine Wolkendecke, die mit Blicken nicht zu durchdringen ist. Heute sind wir früh genug losgefahren und die Straße nach Norden ist offen. Der Wind pfeift uns arschkalt um die Ohren, als wir von Ab Karm, etwa mittig zwischen Teheran und Kaspischem Meer auf circa zweitausendfünfhundert über Normal Null, auf den nächsten Berg klettern, und dabei einige fossile Schnecken aufsammeln, noch nicht alt, das Gebirge. Wieder unten, wagen die Verwegensten von uns ein Bad in einem Becken mit fast kochend heißem Quellwasser, neunzig Grad soll die Temperatur an der Quelle sein, mir wird schon schwummrig, aber erholsam ist es auf jeden Fall und gut für die Haut wegen des Schwefels. Und dann machen wir uns auf nach Gusfand Sara, einer der Zwischenstationen bei der Bezwingung des Damavand auf dreitausendzweihundert Metern, Geländewagen wären besser geeignet und wie lange wir diese klebrige Wolkenmasse auch beobachten, die den Gipfel verschmiert, sie gibt ihn nicht frei, den Blick auf den höchsten Berg Irans. Wir ziehen ab und schwören insgeheim wiederzukommen, wenn sich das Wetter stabilisiert hat.

[] Ab Karm / Freitach, 03. November 2006

Lurchi und Schrecka nehmen die Pille.

   

[] Parand / Mittwoch, 01. November 2006

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.